Zwei Wochen vor der Wahl hat Olaf Scholz seine Botschaft gefunden: "Kann man ihm noch trauen?", fragt Scholz am Samstag von der Wahlkampfbühne in Leipzig. Und fragt es in ähnlicher Weise in Interviews und überall im Land: "Was kann man ihm jetzt noch glauben?" Gemeint ist sein Herausforderer Friedrich Merz. In Umfragen hat sich zwar wenig bewegt, seit der CDU-Chef die Union im Bundestag mit der AfD stimmen ließ, um ausgerechnet das Migrationsrecht zu verschärfen. Die SPD steht nach wie vor wie erstarrt zwischen 15 und 16 Prozent. Doch jemand hat sich bewegt – Olaf Scholz. Kurz vor Ende ist er doch noch in diesem Wahlkampf angekommen.
Einfach war das nicht. Da waren zunächst die quälend langen Tage im November, in denen unsicher war, ob seine Partei ihn, den amtierenden Kanzler, überhaupt noch einmal aufstellen würde. Eine Erinnerung, die ihn gerade wieder eingeholt hat. Und dann eine Kampagne, die über weite Strecken den Anschein erweckte, alle Probleme der Partei und ihres Kandidaten überdecken zu wollen, indem sie möglichst jeden sozialdemokratischen Herzenswunsch erfüllt. Und die Probleme des Landes gleich mit.
"Mit mir wird es kein Entweder-oder geben", "wer zahlt die Zeche", "wenn wir uns unterhaken", "Zusammenhalt" – lauteten seine Botschaften damals auf dem Parteitag. Scholz wirkte in diesen Phrasen über Wochen wie gefangen. Eine Person, die ganz hinter dem Programm verschwand. Ganz ohne diese Sätze kommt er auch an diesem Samstag in Leipzig nicht aus. Doch daneben nimmt sich Scholz nun Raum zur Differenzierung. Auch wenn sich das bei ihm, etwa beim Thema Schuldenbremse, dann so anhört: "Wir haben Spielräume, die müssen wir nutzen, auch wenn wir weiter fiskalische Strenge walten lassen."
Typisch Scholz
"Fiskalische Strenge" ist nicht nur deshalb typisch Scholz, weil es vergleichsweise technisch klingt. Es ist auch das Selbstbekenntnis eines Anhängers der Schuldenbremse. Als Bundesfinanzminister setzte er deren Einhaltung noch gegen Widerstände in der eigenen Fraktion durch.
Verglichen mit dem Anfang seiner Kampagne ist diese neue Freiheit zur Differenzierung keine unbedeutende Entwicklung. Noch Mitte Januar versprach Scholz, im Grunde alles zu finanzieren. Eine bessere Bundeswehr etwa, aber auch eine bessere Rente; Investitionen in Brücken und Schienen, aber auch in Unternehmen. Es gehe darum, die Menschen nicht zu "überfordern", etwa mit dem Klimaschutz. Aber sicher auch nicht mit "fiskalischer Strenge."
Hat Scholz nun seine Taktik geändert, wenn auch nur rhetorisch?
Sich treu bleiben ist ein Thema für Scholz, das ihm ohnehin in einem anderen Format leichter fällt. In der SPD nennt man es "Townhall": das direkte Gespräch mit den Bürgern. Große Veranstaltungen wie die in Leipzig sind wichtig für die Kampagne. Doch es sind die wesentlich kleineren, nach denen Menschen im Publikum sagen, der sei ja sogar witzig, der Scholz. Und ganz anders. Eigentlich ganz nett.
Diese Veranstaltungen passen zum neuen Scholz, der vielleicht so neu gar nicht ist, sondern ein bisschen mehr er selbst. Soweit das im Wahlkampf eben geht.
97 Kommentare
Palzwoi
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Ein Artikel über Scholz, der mit den Missetaten seines Konkurrenten beginnt. Und als dann das kam...
...hatte ich genug von der offenen Wahlwerbung.
Sascha Wegmann
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Von der Ampel-Regierung hatte ich mir - nach 16 lähmenden Merkel-Jahren - tatsächlich einen Aufbruch in vielen Bereichen versprochen. Leider haben es die Herren Scholz, Habeck und Lindner versäumt, die hierfür notwendige politische Strategie an den Tag zu legen.
Während Scholz den Regierungs-Stil von Merkel (inkl. Merkel-Raute) kopiert hat, wollten die Grünen mit dem „Kopf durch die Wand“, und die FDP hat sich in der Rolle des Grünen-Verhinderers eingerichtet. Am Ende haben dadurch alle verloren, aber vor allem unser Land.
Was von dieser Regierung an Positivem bleibt, ist, dass die Energiewende neue Impulse bekommen hat, nachdem die Regierung Merkel zwar den Atomausstieg beschlossen, aber den Bau von Windrädern völlig zum Erliegen gebracht hatte. Auch war das Krisenmanagement nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges und dem Zudrehen des Gashahns durch Putin nicht so schlecht, wie häufig dargestellt (100 Mrd. EUR-Sondervermögen, Verhinderung einer Gasmangellage). Das hätte auch ganz anders ausgehen können.
Letztlich geht das schlechte Erscheinungsbild einer Regierung immer auch zu Lasten des Regierungschefs - zumal wenn auch er seinen Beitrag dazu geleistet hat. Das wird Herr Scholz nun lernen.
Sharon E.
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Mündige Bürger benötigen keine Visionen und auch keine Führer, sondern Realpolitiker, die mit Sachverstand und Besonnenheit regieren. Genau das verkörpert Olaf Scholz. Die Visionen des Oppositionskandidaten haben nur dazu geführt, dass die AfD salonfähig wurde.
Mottenburger_Jung
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Noch zwei Wochen, dann sind wir Scholz los. Er hatte seine Chance, 15% sind mehr als angemessen für diese Art von Politik.
Free Guy
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3 Jahre hat sich Scholz vor der Verantwortung als Bundeskanzler gedrückt.
Und jetzt im Wahlkampf kommt er mit Ankündigungen um die Ecke, die er schon lange hätte umsetzen können.
Dazu kommen die zweifelhaften Aussagen zur Lieferung der Taurus.
Einfach unglaubwürdig.
OmiMarianne
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Guter Schauspieler, ält sich für das Maß aller Dinge! Nein danke
AlleNutzernamensindvergeben
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"Visionen" nennt man in anderen Kontexten Populismus, "sich verlieren in Details" das verantwortungsbewusste Befassen mit der realen Welt und ihren Komplexitäten.
Frau Funcke
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Hat jemand den Podcast Alles gesagt mit Scholz gehört? Jedenfalls zeigt sich dort der Scholz so, wie ich ihn mir auch vorstellte.
Ich habe dort keinen Scholzomat gehört, sondern einen echten Sozialdemokraten mit all den Anliegen, für die die Sozialdemokratie steht. Er kann wirklich zuhören, ist nahbar und kann auch humorig sein. Ein ernsthafter Gesprächspartner jedenfalls.
Charismatisch - nein, ist er nicht wirklich - dafür aber vertrauenswürdig. Ganz wichtiger Punkt für mich! Und er meint viele Aussagen wirklich ernst, über die er spricht...kann man nämlich hören.
Kommunikation - macht er häufig einen zu großen Bogen, bis er auf auf den Punkt kommt. Für manche auch zu kurz, wenn er sein 'nö' oder ein einfaches 'ja' sagt. Mir reicht das häufig. Denn die vielen Phrasen mit den allzu vielen Füllwörtern stören mich viel mehr.
Sachkenntnisse/Detailwissen/komplexe Zusammenhänge erkennen - erachte ich wichtiger, als den großen Showmaster zu geben.
In diesen fiebrigen Zeiten ist mir ein Politiker mit seinen Anliegen und Eigenschaften doch tausendmal lieber, als so manche Trompeter im Politikbetrieb.
Also ja, ich werde die SPD wählen, auch wenn ich Kritikpunkte habe. Das Positive überwiegt jedoch.